von Susanne Marx
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4. Juni 2021
Ich bin seit über 30 Jahren selbständig, in einem Beruf bzw. mehreren Berufen, die für mich Sinn machen und die ich sehr gerne mache, und gleichzeitig oder trotzdem waren es früher oft einsame, leere und finanziell schwierige Jahre – das zu dem einen Löwen. Und auch wenn ich vieles gelernt habe und kann, so war bei jeder Technik irgendwann der Punkt erreicht, wo ich alles, was ich damit innerlich erreichen konnte, erreicht hatte, und mich zwar besser fühlte, aber noch genau an der gleichen Stelle stand wie vorher. Ich weiß nicht, ob Sie das kennen – man hat sich weiterentwickelt und gleichzeitig ist man noch genau dort, wo man begonnen hat. Dass das keine Kreise, sondern Spiralen sind und man sich eben nicht genau gleich fühlt wie vorher, vergisst man schnell bzw. kann man nur sehr schwer wahrnehmen, weil es eine graduelle Veränderung ist und wir uns so schnell an den neuen Status Quo gewöhnen. Trotzdem war die unruhige Suche nach etwas immer da, begleitet von einer inneren und äußeren Stagnation und einem Gefühl der Leere. Es war die Suche nach dem Sinn, dem Zweck oder der Aufgabe – dachte ich zumindest. Nach jedem Seminar, jeder Beratung, Einzelsitzung oder beim Schreiben hatte ich das Gefühl tiefer Zufriedenheit, aber das war im Alltag dann schnell wieder verschwunden und machte der gewohnten Gräue Platz. Ich machte etwas, das ich für meine Aufgabe und sinnvoll hielt, und trotzdem fühlte es sich nicht so an. Ich begann mit schamanischen Reisen und zum ersten Mal seit langem zeichnete sich so etwas wie ein Silberstreif am Sinnhorizont ab. Um mehr zu lernen, begann ich eine schamanische Ausbildung und lernte dort eine Teilnehmerin kennen, die mit der Zeit zur Freundin wurde. Wir finden ähnliche Dinge gut und hilfreich und geben uns gegenseitig Tipps und Hinweise auf Bücher, neue Techniken oder Kollegen und ich schätze ihren Rat und ihre Empfehlungen. Bei einem unserer Telefonate erzählte sie mir, dass sie als Helferin bei dem großen Schamanenkongress am Mondsee teilgenommen hätte und dort zutiefst beeindruckt von einem der Teilnehmer gewesen sein – dem Ältesten der Eskimo-Kalaallit Angaangaq. Sie sagte ‚Wenn er wieder in Deutschland ist, dann musst du unbedingt zu ihm gehen’. Ich schaute mir einige Videos auf Youtube von Angaangaq an und fand einen älteren, freundlichen Herrn vor, den ich sympathisch und in sich ruhend fand. Einige Zeit später, nämlich im September 2009, war Angaangaq dann tatsächlich wieder in Deutschland und bot in Bielefeld Kurse und Einzelsitzungen an. Da ich an dem Wochenende, an dem der Kurs stattfinden sollte, selber ein Seminar hatte, fragte ich bei den Organisatoren an, ob noch eine Einzelsitzung frei sein. Es war und ich bekam einen Termin um 15.30 Uhr, allerdings schon mit der Bitte, sich etwas Zeit mitzubringen, da der Zeitbegriff von Schamanen ein etwas anderer sei als unserer. Ich gab also bei Google-Maps die Adresse des Seminarzentrums, wo die Sitzungen stattfinden sollten, ein und druckte mir den Plan mit dem kleinen Fähnchen aus. Aufgrund meiner gesammelte Erfahrungen der letzten Jahre mit der Bundesbahn suchte ich mir eine Verbindung mit reichlich Luft. Der Tag selber begann gut, auch wenn das Wetter, das vorher sehr warm und sommerlich war, umgeschlagen war und einem eher kühlen, regnerischen Klima Platz gemacht hatte. Der Zug war pünktlich in Bielefeld, und der Bus stand schon auf dem Parkplatz vor dem Bahnhof. Ich stieg ein und kurze Zeit später fuhr der Bus los. Aber je länger wir fuhren, desto unruhiger wurde ich – ich hatte angenommen, das Seminarzentrum würde irgendwo in der Stadt liegen, und stattdessen wurde die Gegend immer ländlicher. Wir fuhren über Felder und weite, unbebaute Gebiete und ich fragte mich, ob mir das Internet die richtige Stadt und die richtige Haltestelle ausgedruckt hatte. Als meine Haltestelle endlich kam, war sie auf offenem Feld, nur ein Häuschen zum Unterstellen und weit und breit kein Haus in Sicht. Ich stieg aus und versuchte mich anhand des kleinen Google-Plans zu orientieren. Dann marschierte ich los in die Himmelsrichtung, in der, laut Plan, das Seminarzentrum sein musste. Und tatsächlich, nach längerem Weg, fand ich tatsächlich die Straße, eigentlich eher ein Feldweg, der zwischen offenen Feldern und einigen Bauernhäuser entlang führte. Nur die Hausnummer gab es nicht. Ich ging die Straße mehrere Kilometer weit bis zum Ende, fragte dort jemanden und langsam wurde es mit der Zeit immer enger. Als ich mit einem geliehenen Handy im Zentrum anrief, sagte einer der Organisatoren, dass es die Adresse so nicht gäbe und das Zentrum an einer der Querstraßen läge, an denen ich vorher vorbeigekommen war. Es war nicht das erste Mal, dass ich dachte wie sehr ich es schätzen würde, wenn Google-Maps einfach mal sagen würde ‚Sorry, ich habe nicht die geringste Ahnung, wo das sein soll’ anstatt mit einer scheinbaren Sicherheit Fähnchen nach dem statistischen Mittel anzubringen. Ich galoppierte also zurück und tatsächlich, etwas verborgen, stand an einer der Querstraßen ein Schild zu dem Zentrum, das selber in einem Wäldchen liegt und deshalb von der Straße aus nicht zu sehen ist. Etwas verschwitzt, aber gerade noch pünktlich, kam ich also im Zentrum an – einer Art spirituellen Lebensgemeinschaft in einem alten Bauernhof, die Räume für Seminare vermieten. Eine Frau, ganz in Rot gekleidet, kam auf mich zu, begrüßte mich und sagte, es würde noch etwas dauern, etwa eine halbe Stunde. Ich sagte, kein Problem, und ging, bei inzwischen einsetzendem Nieselregen und einer zu dünnen Jacke, noch etwas im Wald spazieren. Nach einer halben Stunde war ich wieder da und wieder sagte sie, es würde noch etwas dauern, ob ich mich nicht zu ihnen setzen wolle. Ich wollte nicht, setzte mich stattdessen unter ein Überdach auf die Terrasse und bekam netterweise einen Tee. Mir kam der Ort und die festen Bewohner, wechselnd ebenfalls auf der Terrasse, mit jeder Minute, die verstrich, merkwürdiger vor und ich dachte mir, seltsam, dass er sich diesen Ort für den Kurs und die Sitzungen ausgesucht hat. Inzwischen waren schon eineinhalb Stunden vergangen und ich inzwischen so durchgefroren, dass ich fragte, ob ich mich in den Vorraum zum Behandlungszimmer setzen könnte. Ich bekam einen Stuhl und noch einen Tee und saß immerhin etwas windgeschützter, wenn auch nicht wirklich warm. Ich hörte immer wieder Angaangaqs Stimme und die Stimme seiner Assistentin, die auch dolmetschte und hörte, wie er einmal um einen starken Kaffee bat. Endlich, nach ca. zwei Stunden, kam die Assistentin heraus, lächelte mich an, bat mich, meine Schuhe auszuziehen und führte mich in einen schönen, hohen, alten Raum, in dem der Kamin brannte und mit einer ganz eigenen, unvergesslichen Atmosphäre. Angaangaq kam auf mich zu, ein kleiner, herzlicher älterer Mann, nahm meine Hände, strahlte mich an und fragte, wo ich herkäme. Ich habe selten einen Menschen mit einer so warmen, herzlichen und uncoolen (im guten Sinne) Ausstrahlung getroffen. Wir plauderten ein bisschen und setzen uns auf zwei Stühle gegenüber. Er fragte, was ich mache und warum ich gekommen sei und ich nannte ihm meine Anliegen. Er nahm wieder meine Hände, schaute mich an und wurde immer ernster – ziemlich erschreckend bei jemandem, der sonst so herzlich und freundlich ist. Er fragte ‚Why are you so cold?’ und ‘Why is your health so bad?’ und ‘Why are you so old?’. Er wollte keine Antworten auf diese Fragen und ich hätte auch keine gehabt. Dann schaute er sich meine Hände genau an und sagte ‚In time to come, you will influence the life of many people’. Er sagte aber auch, dass ich gerne weiter in dieser Stagnation bleiben könnte, er mich dort aber nicht gerne sehen würde. Ich sagte, ich weiß, aber wie kann ich das ändern? Er sagte ‚Sie denken zu viel, das kostet Sie Ihren Frieden’ und dann deutet er auf mein Herz und sagte ‚Go there, she is smiling’. Je ernster und besorgter er wurde, desto beunruhigter und frustrierter wurde ich. Ich wusste das alles, wusste aber nicht, wie ich es ändern sollte. Und ich hatte das Gefühl, dass all die Arbeit der letzten Jahre vollkommen umsonst war – ich war noch genau da, wo ich angefangen hatte. Er sagte nur ‚Sie wissen das. Es ist einfach Shapeshifting – Sie kennen das aus dem Schamanismus’. Dann stand er auf und bat mich ans Feuer. Er sagte, er möchte mich seiner Trommel vorstellen und sagte mit einem kleinen Lächeln ‚Sie ist auch schon sehr alt, genau wie Sie’. Dann sagte er, ich solle mich an eine Zeit in meinem Leben erinnern, wo ich glücklich war, voller Lebensfreude, powerful und mich schön und groß gefühlt hätte und dorthin gehen. Gleichzeitig fing er an zu trommeln und zu singen, berührte mich an verschiedenen Stellen am Körper. Ich stand stocksteif da, fühlte mich vollkommen unwohl und war sehr froh über die Anwesenheit seiner Schülerin, die mich anfangs eher gestört hatte (nicht wegen ihr – sie war sehr nett – sondern weil ich mich einfach auf Angaangaq eingestellt hatte und weil ich keine Übersetzung brauchte). Ich war so damit beschäftigt, mit geschlossenen Augen wachsam und angespannt zu verfolgen, wo er gerade war und was er gerade tat, dass ich nirgendwohin gehen konnte, abgesehen davon, dass mir keine einzige solche Situation eingefallen war, weil ich nicht wusste, was er meinte. Er fing an zu schwitzen und ich merkte, wie sehr ihm die Behandlung zu schaffen machte (kurze Zeit später sagte er ‚So much pain’) und dass sie ihm körperlichen Schmerz bereitete. Zum Schluss umarmte er mich, die Haare verschwitzt, und klammerte sich dabei fast verzweifelt an mich wie ein Ertrinkender. Dann war es vorbei und er fragte mich, wo ich im Geiste gewesen sei. Ich antwortete wahrheitsgemäß ‚Hier’ und er war sichtlich unzufrieden mit der Antwort. Alles ist falsch. Er sagte zu mir, dass er sehen möchte, dass ich diesen Raum aufrecht, mit geradem Rücken verlasse und damit ist die Sitzung zu Ende. Ich verabschiedete mich, von seiner Schülerin begleitet, zog mir die Schuhe an und machte mich, frustriert, verwirrt und sehr erschrocken wegen seiner Dringlichkeit und Besorgnis auf den Rückweg. Während ich den Weg im Nieselregen zurückstapfte, dachte ich nur ‚Nirgendwohin gekommen’ und ‚Warum sagt er nicht, wie ich das machen soll? Was soll ich mit Shapeshifting anfangen?’. Kurz vor der Hauptstraße dachte ich dann ‚Na, dann versuche ich es halt so, wie ich es kann’. Vor einigen Jahren hatte eine Gesangslehrerin, die ich sehr schätze, einmal völlig unvermittelt zu mir gesagt ‚Du hast so eine schöne Seele’ und aus irgendeinem Grund erinnerte ich mich an diesem trüben, grauen Tag in Bielefeld daran und dachte mir ‚Vielleicht soll ich einfach meine Seele nach außen leuchten lassen, meint er vielleicht das?’. In diesem Moment passierte etwas außergewöhnliches – meine innere Welt veränderte sich völlig. Die Verwirrung und Frustration war weg und ich spürte, dass von der Mitte der Stirn und des Kopfes aus etwas nach außen floss, das ich am besten als klares, reines und köstliches/wunderbares Bewusstsein beschreiben kann. Die Welt und ich veränderten sich völlig, alle Last fiel von mir ab und ich fühlte einen unglaublichen inneren Frieden, gleichzeitig mit einer großen Kraft und Präsenz – es war schwer zu beschreiben und einfach toll. Ich dachte noch einmal ‚Meint er vielleicht das?’ und ein Teil der Frustration und Verwirrung kam zurück. Dann versuchte ich es wieder mit ‚Seele nach außen leuchten lassen’ und wieder stellte sich dieser bewusste, klare und tiefe Zustand ein. Inzwischen war ich wieder bei der Hauptstraße angekommen. Bei der Hinfahrt hatte ich gesehen, dass der (einzige) Bus nur einmal in der Stunde fuhr und ich dachte, na bei meinem Glück heute ist er gerade vor fünf Minuten gefahren und ich stehe hier eine Stunde auf freiem Feld bei Regen, Kälte und Dämmerung. Ein Blick auf den Plan und ich stellte fest, dass er in zwei Minuten kommen sollte, was er auch tat. Ich dachte ‚Seltsam’. Am Bahnhof angekommen dachte ich, der durchgehende Zug alle zwei Stunden ist bestimmt gerade weg, um dann festzustellen, dass er in zehn Minuten fuhr und ich sogar noch Zeit hatte, mir etwas zu essen und zu trinken für die Fahrt zu kaufen. In Bonn angekommen überlegte ich, ob ich noch zu meinem Gälisch-Singen fahren sollte und machte mit mir ab, dass ich dann noch hinfahren würde, wenn die Straßenbahn direkt in den nächsten zwei Minuten unten im Bahnhof abfahren würde. Sie können sich den Rest wahrscheinlich schon denken – sie kam direkt und ich kam noch fast pünktlich zum Singen. Bei aller Beunruhigung und Frustration, die dieser eindrückliche, aber streckenweise nicht angenehme Termin bei mir hinterlassen hatte, war ich deutlich im Fluss (ganz anders als z.B. bei einem Matrix Energetics Seminar bei Richard Bartlett, das ich ein paar Wochen später in Frankfurt wegen eines geplanten Buchprojektes besuchte – hier ging auf der Heimreise wirklich alles schief, was schief gehen kann und es war reichlich Quantensand im Getriebe) – und hatte etwas entdeckt, dessen Tragweite für mein Leben ich erst in den folgenden Wochen so richtig erfasst und verstanden habe. Herzlich, Ihre Susanne Marx